Garfinkel spricht bereits von Doing Accounts bzw. in seiner Transsexuellen-Studie von Agnes als „Doer of the accountable person“ (Garfinkel, 1967: 181), jedoch noch nicht von einem Doing Gender. Erst Kessler/McKenna prägen in „Gender. An ethnomethodological Approach“ (1978) eine erste Fassung dieses Begriffs. Die Arbeit dient der Klärung der Frage: „How is a social reality where there are two and only two genders constructed?“ (Kessler/McKenna 1978: 3) Dazu untersuchen sie Praktiken der Geschlechtskonstruktion von Transsexuellen (ebd.: Kapitel 5) und der Geschlechtsidentifikation bei Erwachsenen (ebd.: Kapitel 6). Sie stellen fest, dass diese Praktiken stets in der Geschlechtszuschreibung (Attribution) gründen: „once people decide what you are, they interpret everything you do in light of that“ (ebd.: 6). Ist eine Zuschreibung hergestellt, kann alles weitere Verhalten durch die ‚Brille‘ oder den ‚Filter‘ männlich bzw. weiblich gesehen werden. Entsprechend können wir auch Männer als ‚unmännlich‘ oder Frauen als ‚unweiblich‘ wahrnehmen, ohne an ihrer Geschlechtszugehörigkeit zu zweifeln. Kessler/McKenna übernehmen damit die von Garfinkel postulierte Omnirelevanz von Geschlecht als „invariant but unnoticed background of every day life“ (Garfinkel 1967: 118), modifizieren jedoch das Accountability-Konzept insofern, als dass sie die Wahrnehmbarkeit der Geschlechtszugehörigkeit schon durch die initiale Attribution sichergestellt verstehen. ‚Doing Gender‘ ist den Autorinnen in erster Linie ein unserer Wahrnehmung eingeschriebenes Beobachtungsprogramm. [1]
Kessler/McKenna kritisieren an Garfinkel, dass jener zwischen ‚Doing male‘ und ‚Doing Female‘ nicht unterscheidet. Wie die Autorinnen in ausgeklügelten experimentellen Designs zeigen ist die „Gender Attribution“ ist in erster Linie eine „Genital Attribution“ und diese eine „Penis Attribution“. Die grundlegende Zuschreibungsregel lautet: „See someone as female only when you cannot see them as male“ (Kessler/McKenna 1978: 158). Der alltägliche Phallozentrismus ist noch der Wahrnehmung eingeschrieben. Kessler/McKenna geben daher Freud recht in der Hinsicht, dass der Penis das maßgebende Genital ist – allerdings ist dies keine psychologische Konsequenz aus der biologisch-natürlichen Verschiedenheit der Geschlechter, sondern ein kulturelles Geschehen („cultural event“) und eine soziale Konstruktion: „In the social construction of gender male is the primary construction“ (ebd.). Die Autorinnen geben zu bedenken, dass ein Wandel der ‚Geschlechtsrollen‘ erst möglich ist, wenn man sich schon jener der Tiefenstruktur unserer Wahrnehmung eingeschriebenen und bewerteten Differenz sowie deren Reproduktion in soziokulturellen Diskursen (wie Biologie, Medizin, Psychologie, Ethnologie) bewusst wird. [2]
Literatur:
GARFINKEL, Harold: Studies in Ethnomethodology, Cambridge: Polity Press 1967.
KESSLER, Suzanne J. / MCKENNA, Wendy: Gender. An ethnomethodological approach, New York: Wiley 1978.
Zitationsvorschlag:
Geimer, Alexander (2005). Doing Gender (nach Kessler/McKenna). In A. G. i. d. E. Freie Universität Berlin (Hrsg.), Glossar Geschlechterforschung. Verfügbar unter http://userpage.fu-berlin.de/~glossar/
Dr. Alexander Geimer
geb. 23.06.1977
Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Rehabilitationswissenschaften, Pädagogik bei Beeinträchtigungen des Sehens
Arbeitsschwerpunkte/Forschungsinteressen: Subjektivierungs- und Bildungsforschung, Medienpädagogik und Mediensoziologie, Cultural, Gender und Disability Studies
alexander.geimer@hu-berlin.de, http://www.alexander-geimer.de
Zurück zu allen Beiträgen
Comments