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  • Jeremia Herrmann

Arbeitsmarktsegregation

Unter Segregation (lat. segregare: teilen, absondern) wird die ungleiche Verteilung von Gruppen mit spezifischen Merkmalen auf verschiedene Bereiche oder Positionen in der Gesellschaft verstanden. Im Kontext der geschlechtsspezifischen Arbeitsmarktsegregation wird die Ausdifferenzierung nach Geschlecht innerhalb verschiedener Sphären der Erwerbsarbeit in den Blick genommen. Konkret handelt es sich um die Ungleichheit in der Präsenz von Männern und Frauen in Betrieben, Berufen, Berufsfeldern oder auf Hierarchieebenen (Achatz, 2008). Dabei ist festzustellen, dass die Geschlechtersegregation in der Regel negative Auswirkungen, wie beispielsweise schlechtere Bezahlung oder geringere Aufstiegschancen, auf Frauen hat (Teubner, 2008, S. 501). [1]

Generell wird zwischen horizontaler und vertikaler Segregation unterschieden. Unter vertikaler Segregation wird die Ungleichverteilung der Geschlechter auf verschiedenen Hierarchieebenen verstanden. Hier ist die Position der Person innerhalb des Berufes, der Branche oder des Unternehmens entscheidend. Vor allem auf der ersten Führungsebene und in größeren Unternehmen lässt sich eine starke Unterrepräsentation von Frauen konstatieren (Funder, 2011, S. 173). Horizontale Segregation beschreibt die Ungleichverteilung von Frauen und Männern in verschiedenen beruflichen Tätigkeitsfeldern, sogenannten Männer-, Frauen- und gemischtgeschlechtlichen Berufen oder Branchen (Wetterer, 2002, S. 64). In diesem Rahmen steht die Geschlechtszuschreibung eines Berufes in engem Zusammenhang mit dessen Wertigkeit. Weiblich dominierte Berufe, wie Erzieher_in oder zahnärztliche Fachassistent_in, besitzen in der Regel einen geringen gesellschaftlichen Status. [2]

Die ersten Ansätze zur Erklärung von Arbeitsmarktsegregation entstanden in den 1960er Jahren und waren stark an Humankapitaltheorien (vgl. beispielsweise Becker, 1964) ausgerichtet. Sie legten einen Fokus auf die Berufswahlentscheidung der Arbeitnehmer_innen. Danach entscheiden sich Frauen und Männer aus einem Kosten-Nutzen-Kalkül heraus bewusst für einen geschlechtstypischen Beruf. Diese Entscheidung wäre mit der Spezialisierung von Frauen auf die Familienarbeit zu begründen, da sie dadurch einen höheren Aufwand betreiben müssten um auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich zu sein (Achatz, 2008, S. 264). Mit einem Erstarken der Sozialisationsforschung in den 1970er Jahren entwickelte sich eine zweite Gruppe akteurszentrierter Ansätze, die den Ursprung für Arbeitsmarktsegregation in der primären Sozialisation sieht. Dazu zählt die „These des weiblichen Arbeitsvermögens“, nach der Mädchen über eine familiennahe Erziehung ein Setting von Tätigkeiten und Verhaltensmustern erhalten, das sie zu typisch weiblichen Berufen befähigt (Busch, 2013, S. 41). [3]

In den 1980er Jahren wurden Studien veröffentlicht (u. a. Willms-Herget, 1985), welche die Beständigkeit des segregierten Arbeitsmarktes aufzeigten. Diese Beständigkeit im Zusammenhang mit anderen geschlechteregalisierenden, gesellschaftlichen Entwicklungen konnte nun nicht mehr allein akteurszentriert erklärt werden. Im Gegensatz zu den bestehenden Ansätzen wurden andere Zugänge entwickelt, die Geschlecht als Strukturkategorie verstehen (Gottschall, 2010). Dabei wird der Arbeitsmarkt als ein Feld betrachtet, das durch Geschlecht hierarchisch strukturiert wird. Die historische Betrachtung von Berufen und deren Geschlechtszuschreibungen erlaubte es festzustellen, dass nicht allein die Tätigkeiten für die Geschlechtszugehörigkeit eines Berufes bedeutend sind, sondern auch deren Status in der Gesellschaft (Wetterer, 2002, S. 81). Außerdem wurde lebenslaufregulierenden Institutionen, wie der Familie oder dem Bildungssystem, eine Wirkung auf die Geschlechtersegregation zugesprochen. Das rückte den Lebenslauf mit seinen verschiedenen Phasen in den Blickpunkt. So weisen weibliche Lebensläufe häufigere und längere Unterbrechungen auf, die den Zugang zu hochspezialisierten Berufen nicht zulassen. Hier wird von Prozessen sozialer Schließung ausgegangen (Busch, 2013, S. 59). [4]

In der aktuellen Auseinandersetzung um geschlechtsspezifische Arbeitsmarktsegregation wird von Geschlecht als einer sozialen Kategorie ausgegangen, welche durch die Beschaffenheit des Arbeitsmarktes in ihrer jetzigen Konstitution produziert wird, diesen aber wiederum grundlegend beeinflusst. Einen wichtigen Beitrag dazu leistete die qualitative Studie „Ungleich unter Gleichen“ (Heintz, Nadai, Fischer & Ummel, 1997). In dieser wird die Kritik der Zweigeschlechtlichkeit erstmals auf den Arbeitsmarkt bezogen. Dieses Vorgehen steht im Zusammenhang mit einem sozial-konstruktivistischen Verständnis, nach dem Differenzierung immer mit einer Hierarchisierung verbunden ist. Durch die Unterteilung in spezifisch weibliche und männliche Berufsfelder werde immer wieder aufgezeigt, dass Geschlechter unterscheidbar seien und eine Differenz bestünde, die als ‚natürlich‘ dargestellt werden könne (Ganß, 2011, S. 74-75). Parallel dazu wird das Konzept des Doing Gender aufgegriffen, um die Beständigkeit von Arbeitsmarktsegregation zu erklären. Da in vielen Berufen diese Form der Geschlechterdarstellung Teil der Arbeit ist, wird die Geschlechtszuschreibung von Tätigkeiten und Berufen reproduziert (Heintz et al., 1997, S. 62-63). So werden in weiblich dominierten Berufen soziale und pflegerische Tätigkeiten betont, um im Umkehrschluss diese als typisch weibliche Eigenschaften darzustellen. [5]

 

Literatur:

Achatz, J. (2008). Geschlechtersegregation im Arbeitsmarkt. In M. Abraham & T. Hinz (Hrsg.), Arbeitsmarktsoziologie. Probleme, Theorien, empirische Befunde (2. Aufl., S. 263–301). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.


Becker, G. S. (1964). Human capital. A theoretical and empirical analysis, with special reference to education (National Bureau of Economic Research. General series, Bd. 80). New York: Columbia University Press.


Busch, A. (2013). Die berufliche Geschlechtersegregation in Deutschland. Ursachen, Reproduktion, Folgen (SpringerLink: Bücher). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.


Funder, M. (2011). Soziologie der Wirtschaft. Eine Einführung. München: Oldenbourg.


Ganß, P. (2011). Männer auf dem Weg in die Soziale Arbeit – Wege nach oben? Die Konstruktion von "Männlichkeit" als Ressource der intraberuflichen Geschlechtersegregation (Soziale Arbeit). Opladen, Berlin, Toronto: Budrich UniPress.


Gottschall, K. (2010). Arbeit, Beschäftigung und Arbeitsmarkt aus der Genderperspektive. In F. Böhle, G. G. Voß & G. Wachtler (Hrsg.), Handbuch Arbeitssoziologie (S. 671–698). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.


Heintz, B., Nadai, E. & Ummel, H. (1997). Ungleich unter Gleichen. Studien zur geschlechtsspezifischen Segregation des Arbeitsmarktes. Frankfurt, New York: Campus.


Teubner, U. (2008). Beruf:Vom Frauenberuf zur Geschlechterkonstruktion im Berufssystem. In R. Becker & B. Kortendiek (Hrsg.), Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie (Geschlecht und Gesellschaft, Bd. 35, 2. Aufl., S. 491–498). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.


Wetterer, A. (2002). Arbeitsteilung und Geschlechterkonstruktion. "gender at work" in theoretischer und historischer Perspektive (Theorie und Methode. Sozialwissenschaften). Konstanz: UVK.


Willms-Herget, A. (1985). Frauenarbeit. Zur Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt (Campus Forschung, Bd. 468). Frankfurt a.M., New York: Campus Verlag.


Zitationsvorschlag:

Herrmann, Jeremia (2014). Arbeitsmarktsegregation. In Gender Glossar / Gender Glossary (5 Absätze). Verfügbar unter http://gender-glossar.de


Persistente URN:

urn:nbn:de:bsz:15-qucosa-220230 (Langzeitarchiv-PDF auf Qucosa-Server)

 

Jeremia Herrmann

Jeremia Herrmann studierte Sozialwissenschaften und Philosophie an der Universität Leipzig und Sozialwissenschaft im Studienprogramm „Kultur und Person“ an der Ruhr-Universität Bochum. Seit Oktober 2017 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Koordinations- und Forschungsstelle des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung NRW mit den Schwerpunkten Gender-Report 2019 (Gleichstellungspraktiken an den Hochschulen), Kinderbetreuung an Hochschulen in NRW und Gender in der Lehre. Jeremia Herrmann arbeitet aktuell an einem Promotionsprojekt zur Perspektive von nicht-stillenden Elternteilen auf das Stillen.



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